[Brüssel.] Im Grunde ist das Thema „Chatkontrolle“ längst ein alter Hut im neuen Gewand. Seit Jahrzehnten gibt es bereits die Diskussionen um die sogenannte Vorratsdatenspeicherung. Immer wieder kamen von verschiedenen staatlichen Institutionen und Behörden Vorschläge, dass die Telekommunikationsanbieter Meta- und Kommunikationsdaten vorhalten sollen, um z.B. im Fall von Strafverfolgungen darauf zugreifen zu können. Seit jeher steht in dieser Interessensabwägung die staatliche Kontrolle den Grundrechten der Privatpersonen gegenüber, die ein Recht darauf haben, dass nicht ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes wahllos die eigenen Kommunikationsdaten einbehalten werden. Die Diskussion ist noch immer dieselbe, nur die Kanäle ändern sich. Ging es vor ein paar Jahren noch um Telefonie und SMS so stehen nun WhatsApp, Telegram und E-Mail im Vordergrund. Begründet werden die Vorhaben aktuell häufig mit dem Thema Kinderpornografie. Diesbezüglich hat auch Apple schon im Vorjahr bekannt gegeben die Cloudinhalte der Nutzer mit der Funktion „neuralMatch“ nach eben diesen Inhalten durchsuchen zu lassen (wir berichteten im August 2021).

Die anlasslose Massenüberwachung ist zwar bisher immer wieder an den hohen Gerichten gescheitert, allerdings gibt es auch immer wieder neue Vorstöße, um die Einsichtnahme des Staates in die private Kommunikation doch noch zu legitimieren. Jüngst machte die EU-Kommission in ihrer Pressemitteilung vom 11. Mai 2022 wieder einen Vorschlag, der die Anbieter von Kommunikationsplattformen dazu verpflichten soll, die Inhalte von Nachrichten vorab zu scannen und auffällige Inhalte an die Polizeibehörden zu übermitteln. Dies würde faktisch eine Chatkontrolle in jedem Chat- und E-Mail-Programm bedeuten.

Gegen das Vorhaben der Chatkontrolle gibt es aus vielen Bereichen Widerstand. Sowohl Chat-Anbieter, Social-Media-Plattformen, Kinderschutzorganisationen, Datenschützer, Journalisten und auch Politiker haben die Pläne in der Öffentlichkeit stark kritisiert. Es gab diverse Online-Petitionen, die innerhalb von wenigen Tagen weit über 100.000 Unterschriften erreichten. Auch verschiedene Wirtschaftsverbände haben sich bereits kritisch zum Vorhaben der EU-Kommission geäußert, da dieses auch Geschäftsgeheimnisse im Allgemeinen bedroht. Wenn sämtliche Inhalte vor dem Versenden bereits gescannt werden, gibt es keine Privatsphäre und keine Betriebsgeheimnisse mehr. Generell stellt sich hier die Frage, ob diese Maßnahme dem Zweck überhaupt dienlich ist. Der Ansatz des Generalverdachts, bei dem jeder EU-Bürger pauschal erst einmal überwacht werden soll, auch wenn er sich nichts zu Schulden hat kommen lassen, ist aus Datenschutzsicht mehr als zweifelhaft. Diesem Argument wird gerne der Satz „Wer nichts falsches getan hat, hat auch nichts zu verbergen!“ entgegengebracht. Dies rechtfertigt allerdings in keiner Weise einen solch erheblichen Eingriff in die Privatsphäre, der in keinem Fall verhältnismäßig ist.

Neben den datenschutzrelevanten Gesichtspunkten ist die technische Umsetzung der Chat-Kontrolle auch durchaus fragwürdig. Bereits beim Thema „Uploadfilter“ wurde deutlich, dass die Scan-Algorithmen noch lange nicht so gut sind, wie die EU-Kommission sich das wünscht. Die Algorithmen markierten sehr häufig Beiträge, die harmlos waren und erkannten wiederum zweifelhafte Inhalte nicht. Dies wirft auch die Frage auf, wie ein solcher Algorithmus bei Text-Nachrichten funktionieren soll, da z.B. Pädophile, die Messenger zur Kontaktanbahnung mit ihren Opfern nutzen könnten in der Regel keine Nachrichten verfassen, die sich ohne weiteres als „gefährliche Kommunikation“ identifizieren lassen. Ob die Absprache bezüglich des nächsten Klavier-Termins rein sachbezogen ist oder ob sich dahinter vielleicht ein gefährlicher Triebtäter verbirgt, wird die Software anhand einfacher Textscans nur schwer interpretieren können. Im Nachgang müssen die meisten Nachkontrollen dann ohnehin von den Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden übernommen werden, auf die eine Menge Arbeit zukommen wird, wenn der Algorithmus ähnlich gut funktioniert, wie der des Upload-Filters.

Auch die Telekommunikationsanbieter bringt das Vorhaben der EU-Kommission in eine missliche Lage. Viele Dienste werben mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Wenn nun die Nutzer das Gefühl haben, dass immer ein Dritter mitliest, werden weniger Personen die Messenger nutzen und schon gar keine vertrauliche Kommunikation mehr auf diesem Wege führen. Dies gilt natürlich auch analog für Straftäter, die ja eigentlich überführt werden sollen. Damit der Staat auf die Daten zugreifen könnte, müsste systemseitig eine Hintertür dafür einprogrammiert werden, was die Verschlüsselung faktisch abschaffen würde.

Hinzu kommen weitere externe Risiken, die sich ergeben, wenn große Datenmengen im privaten und geschäftlichen Bereich vorliegen. Die Datensätze können z.B. durchaus auch für Verbrecher oder Hackergruppen interessant werden.

Hinzu kommt auch die perspektivische Sicht: Derzeit sind wir in der EU zwar noch weit von Szenarien wie in China entfernt, wo Bürger mittels Algorithmen überwacht werden, aber grundsätzlich geht die staatliche Einsichtnahme in sämtliche Kommunikation in genau diese Richtung. Nicht nur aus Datenschutzgründen widerspricht das Vorhaben der EU-Kommission den Prinzipien eines freien und demokratischen Staats. Darüber hinaus würde es Europas Position als Wirtschafts- und Menschenrechts-Standort deutlich schwächen.

Aus Datenschutzsicht bleibt zu hoffen, dass sich dieses Vorhaben ähnlich wie die Pläne zur Vorratsdatenspeicherung nicht durchsetzen kann.

In diesem Sinne gilt: Respect privacy.

Quellenangaben:

  • Artikel „Die Chatkontrolle – EU-Kommission auf Abwegen“, abgerufen am 22.06.2022 unter: https://www.dr-datenschutz.de/die-chatkontrolle-eu-kommission-auf-abwegen/