Am 06. Oktober 2020 gab es zwei Urteile vom Europäischen Gerichtshof zum Thema „Vorratsdatenspeicherung“. Die Urteile gehen auf drei Klagen im Vereinigten Königreich sowie in Frankreich und Belgien zurück.

Was bedeutet „Vorratsdatenspeicherung“ eigentlich?

Der Begriff „Vorratsdatenspeicherung“ beschreibt ein Instrument aus der Kriminaltechnologie, bei dem u.a. Telekommunikationsanbieter verpflichtet werden, ausgewählte Daten jahrelang abzuspeichern und bestimmten Organisationen und Institutionen zur Verfügung zu stellen. Zwar werden in der Regel keine Gesprächsinhalte aufgezeichnet, allerdings bewahren die Unternehmen u.a. die folgenden Daten auf:

  • Kommunikationsmetadaten: Verkehrs-, Standort-, Teilnehmer- und alle anderen Daten einer Kommunikation
  • Informationen über Kontakte: Telefonnummern der Gesprächspartner, Standorte der Gesprächspartner, Gesprächszeiten, verwendete IP-Adressen, Häufigkeit der Kontakte des Benutzers mit bestimmten Personen während eines bestimmten Zeitraums
  • Standortinformationen sowie Informationen über jedes an ein Netzwerk angeschlossene Gerät
  • Kartensuchen, besuchte Webseiten

Diese Beispiele sind nur eine kleine Auswahl: tatsächlich werden noch weitere Metadaten gespeichert. Als Legitimationsgründe für die Durchführung einer Vorratsdatenspeicherung nennen die Behörden und Institutionen u.a.:

  • Erhaltung der nationalen Sicherheit
  • Verhinderung und Verfolgung schwerer Straftaten
  • Terrorismusbekämpfung
  • Eindämmung und Früherkennung von Gefahren für die nationale Sicherheit

Was ist das konkrete Problem dabei?

Bei der Vorratsdatenspeicherung handelt es sich um eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung und Sammlung von Kommunikationsdaten. Dies stellt ein Problem dar, weil die Staaten die Sicherung der Daten zum Zwecke der Erhaltung der nationalen Sicherheit über die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen stellen. Damit widersprechen Sie sowohl dem EU-Recht an sich, als auch den Datenschutzgesetzen der Europäischen Union.

In einigen Länder gibt es gesonderte Überwachungsgesetze, in denen Staaten Telekommunikationsunternehmen und Dienst-Anbieter dazu verpflichten große Mengen personenbezogener Daten für eine spätere Erhebung oder einen anderen Zugriff durch Sicherheitsbehörden und Geheimdienste kontinuierlich zu speichern. Beispiele hierfür sind u.a. das Vereinigte Königreich, Frankreich und noch einige andere europäischen Länder. Problematisch ist dabei auch, dass es keine Fristen für die Speicherung der Daten gibt, was in der Praxis bedeutet, dass diese zunächst unbegrenzt gespeichert werden. Ein weiterer Punkt ist außerdem, dass es für die Speicherung der Daten keinen konkreten Tatverdacht geben muss, sondern diese wahllos und im Vorfeld erfolgt. Dieses Vorgehen ist wenig demokratisch und bedeutet einen tiefen Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte der EU-Bürger. Statt Demokratie verbirgt sich hinter der Vorratsdatenspeicherung eher eine höchstkritische Form der Massenüberwachung.

Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) Professor Ulrich Kelber unterstützt das EuGH-Urteil, das die Vorratsdatenspeicherung weiter eindämmt, da er sich bereits seit einigen Jahren kritisch dazu äußert. Er appeliert an europäische und deutsche Gesetzgeber, sich bei zukünftigen Rechtssetzungsvorhaben an der aktuellen Rechtssprechung des EuGH zu orientieren und das Urteil als neue Grenze zu betrachten, die nicht überschritten werden darf.

Was besagt das Urteil / die Urteile des EuGH?

Der EuGH hat sich gegen eine flächendeckende und pauschale Speicherung von Internet- und Telefon-Verbindungsdaten ausgesprochen, da das aktuelle Vorgehen nicht mit den grundlegenden Menschenrechten auf Privatsphäre, Datenschutz und Meinungsfreiheit zu vereinbaren ist. Das Ziel des Gerichtshofes ist dabei, dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der Privatsphäre des Einzelnen und dem Schutz der Öffentlichkeit gewahrt werden muss. Um dies auch gewährleisten zu können, müssen vor allem Schutzmaßnahmen existieren, die besondere Anforderungen erfüllen.

Es gibt allerdings einige Ausnahmen, wie z.B. wenn es um die Bekämpfung schwerer Kriminalität oder konkret um eine ernsthafte Bedrohung der nationalen Sicherheit geht. In einem solchen Fall muss allerdings eine nationale Anordnung zur Vornahme der Speicherung vorausgehen, die einer zeitlichen Befristung unterliegt und durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsbehörde geprüft wird.

By the way: In Zeiten von Prepaid-Handys und aufladbarem Guthaben gibt es weitere Möglichkeiten der anonymen Kommunikation für Privatpersonen, ohne auf dem Radar ihrer Telekommunikationsanbieter zu erscheinen.

Das detaillierte Urteil in englischer Sprache ist hier nachzulesen: https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2020-10/cp200127en.pdf (EuGH-Urteil vom 6. Oktober 2020 – C 512/18)

Quelle 1: Artikel „Vorratsdatenspeicherung: Definition, Zweck & aktueller Stand“, abgerufen am 12.10.2020 unter https://www.privacyxperts.de/vorratsdatenspeicherung-keine-aenderung/

Quelle 2: Artikel „Häufig gestellte Fragen: Was die neuen Gerichtsurteile zur Vorratsdatenspeicherung bedeuten“, abgerufen am 14.10.2020 unter https://netzpolitik.org/2020/haeufig-gestellte-fragen-was-die-neuen-gerichtsurteile-zur-vorratsdatenspeicherung-bedeuten/

Quelle 3: BFD-Newsletter „BfDI Pressemitteilung : BfDI kritisiert Pläne zur Vorratsdatenspeicherung“ vom 07.10.2020 (14:12 Uhr)